Eine der größten Herausforderungen im Contact Center besteht darin, treffsichere Prognosen zu erstellen - zum einen für das Arbeitsaufkommen, zum anderen für die benötigten Agenten. Wenn Dir das gelingt, wird vieles deutlich leichter.
Dieser Artikel ist der erste einer dreiteiligen Serie zum Thema Forecasting. Hier lernst Du alles, um als Forecaster im Contact Center so richtig durchzustarten.
Wer sich zum ersten Mal mit dem Thema Forecasting im Contact Center beschäftigt, steht vor einer immensen Herausforderung. Es gibt einfach so viele Dinge, mit denen man sich beschäftigen könnte. Hinzu kommt, dass Du Dich vermutlich mit zahlreichen Erwartungen von Vorgesetzten und Kollegen konfrontiert siehst. Vielleicht erwartet man von Dir, dass Du die Forecastgenauigkeit verbesserst oder dass der Forecast künftig in Intervallen von 30 Minuten anstatt wochengenau berechnet wird.
Lass Dich von all dem nicht verunsichern und nimm Dir anfangs nicht zu viel vor. Dann kannst Du nach und nach auf Deinen Erfolgen aufbauen. Du solltest außerdem immer ein klares Ziel vor Augen haben, warum Du etwas tust. Alles beim Forecasting erfüllt einen bestimmten Zweck. Es ist nie der Forecast allein um des Forecasts willen.
Wenn Du mit dem Forecasting beginnst, ist ein jährlicher Forecast, der auf die einzelnen Monate heruntergebrochen wird, der optimale Startpunkt. Ziel ist es, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wie viele FTEs (Full Time Equivalents = Vollzeitkräfte mit einer 40-Stunden-Woche) in den einzelnen Monaten benötigt werden und diese Zahl mit der aktuell verfügbaren Anzahl an FTEs zu vergleichen.
Ist die Abweichung zu groß, kümmert sich das Management-Team darum, dass mehr Agenten eingestellt werden. Ziel des monatlichen Forecasts ist es also, besser einschätzen zu können, wie viele neue Mitarbeiter im Jahresverlauf eingestellt und trainiert werden müssen.
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Damit Du die Anzahl der benötigten FTEs für jeden Monat ermitteln kannst, musst Du wissen, wie hoch das Arbeitsaufkommen jeweils ausfallen wird. Das Arbeitsaufkommen wird berechnet, indem Du das Anrufvolumen (die Anzahl der eingehenden Anrufe), mit der durchschnittlichen Bearbeitungszeit (auch Average Handling Time oder AHT genannt) multiplizierst.
Dein Ziel ist es, zwei Forecasts zu erstellen. Einen für das Anrufvolumen und einen für die Bearbeitungszeit. Wir beginnen mit dem Anrufvolumen-Forecast.
Als erstes wählst Du eine Mitarbeitergruppe aus, für die Du den Forecast erstellen willst. Sammle für diese Gruppe so viele historische Daten zum Anrufvolumen und zur Bearbeitungszeit wie möglich, am besten aus den vergangenen 36 Monaten. Wenn Du Daten von mehreren Jahren einbeziehst, kannst Du erkennen, wie sich das Arbeitsaufkommen abhängig von Jahreszeiten, Ferienzeiten und anderen Einflüssen ändert (Saisonalität) und ob mit den Jahren mehr oder weniger Anrufe eingehen (Trend).
Als erstes berechnen wir das Wachstum des jährlichen Anrufvolumens. Hier ist ein Beispiel-Datensatz, aus dem wir die jährlichen Wachstumsraten ableiten können.
Tabelle 1: Jährliche Wachstumsraten des Anrufvolumens
Da die Wachstumsrate im ersten Jahr 4 % und im nächsten 3,8 % beträgt, ist es am einfachsten, für das Jahr 2019 eine durchschnittliche Wachstumsrate von 3,9 % anzunehmen.
Im Beispiel oben müssen wir das Anrufvolumen von 2018 daher um 2.106 Anrufe erhöhen. Das führt zu einer Prognose von 56.106 Anrufen für 2019.
Und so brichst Du diese Zahl auf die Monate herunter: Berechne zunächst aus den historischen Daten das durchschnittliche Anrufvolumen für jeden Monat und das durchschnittliche jährliche Anrufvolumen. Anschließend berechnest Du, welchen Anteil am jährlichen Anrufvolumen jeder Monat hat. Teile hierfür jeweils die Monatswerte durch den Jahreswert.
Tabelle 2: Durchschnittliches Anrufvolumen pro Monat
Multipliziere dann den Prozentwert für jeden Monat mit den 56.106 Anrufen, die wir für 2019 berechnet hatten. Das Ergebnis sieht folgendermaßen aus:
Tabelle 3: Voraussichtliches Anrufvolumen pro Monat in 2019.
Dieselbe Berechnung kannst Du nun auch mit der Bearbeitungszeit durchführen. Zunächst berechnest Du das jährliche Wachstum der AHT im Vergleich zum Vorjahr und leitest daraus die voraussichtliche AHT für 2019 ab. Anschließend bestimmst Du aus den historischen Daten die durchschnittliche AHT für jeden Monat und den Durchschnittswert für alle Jahre. Die durchschnittliche Monats-AHT wird nun durch die durchschnittliche Jahres-AHT geteilt. So bestimmst Du, wieviel Prozent der Jahres-AHT in jedem Monat anliegen. Wenn die durchschnittliche Jahres-AHT z.B. 300 Sekunden beträgt und die durchschnittliche Monats-AHT im Januar bei 200 Sekunden liegt, dann beträgt die Januar-AHT 200/300 = 66 % der Jahres-AHT.
Der letzte Schritt besteht dann darin, dass Du die zuvor über die Wachstumsraten ermittelte Jahres-AHT für 2019 - z.B. 280 Sekunden - mit 66% multiplizierst. Du erhältst so die voraussichtliche AHT im Januar 2019, hier wären das 185 Sekunden.
Du hast nun den Monats-Forecasts für das Anrufvolumen und für die AHT vorliegen. Jetzt musst Du die für jeden Monat berechneten Anrufvolumen nur noch jeweils mit der Monats-AHT multiplizieren, um den Monats-Forecast des Arbeitsaufkommens zu erhalten.
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Das Ziel eines Wochen- und Tagesforecasts besteht darin, Informationen für die exakte Verplanung vorhandener Agenten innerhalb der nächsten Wochen zu liefern.
Tages- und Wochen-Forecasts müssen übrigens nicht genau mit dem Monats-Forecast übereinstimmen. Denn Deine monatlichen Prognosen erstellst Du lange im Voraus auf Basis von relativ ungenauen historischen Daten. Bei Wochen- und Tagesforecasts verwendest Du hingegen zusätzliche Informationen zu Einflussfaktoren, die den Forecast in nächster Zukunft beeinflussen werden. Dadurch werden Wochen- und Tagesforecasts deutlich genauer.
Angenommen, Du möchtest die nächsten drei Monate vorhersagen. Du hast eine Monatsprognose und eventuell eine Wochenprognose für denselben Zeitraum erstellt. So weit im Voraus sollten sie durchaus übereinstimmen. Wenn es aber um die nächsten drei bis sechs Wochen geht, solltest Du Deine wöchentliche Prognose mit aktuellen Daten verfeinern. Wenn Du also neue Informationen hast, die Deine kurzfristige Prognose beeinflussen, solltest Du sie in den Forecast einfließen lassen und die Gründe dafür dokumentieren.
Deine Prognose für die nächsten drei Monate geht davon aus, dass Dein Anrufvolumen im Jahresvergleich um 10 % zunimmt. Du hast diesen Zuwachs in Deinem Forecast bereits berücksichtigt.
Nun erfährst Du, dass sich der Abrechnungsprozess im zweiten Monat ändern wird. Als Folge werden mehr Kunden anrufen, weil sie Fragen zum neuen Prozess haben.
Du solltest daher Deine Wochenprognose ab dem zweiten Monat entsprechend anpassen und den Grund für die Änderung dokumentieren. Durch die Dokumentation verdeutlichst Du nicht nur, warum Du den Forecast geändert hast – Du kannst auch im Nachhinein kontrollieren, ob die vermuteten Änderungen des Anrufvolumens in der Realität auch tatsächlich eingetreten sind.
Wenn Du angenommen hast, dass das Anrufvolumen um 5% steigt und die tatsächliche Änderung aber nur 3 % beträgt, dann kannst Du das beim nächsten Forecast berücksichtigen, wenn der Abrechnungsprozess erneut geändert wird. So erhältst Du eine noch genauere Prognose.
Zwei Methoden bieten sich an, um Deinen ersten wochen- bzw. tagesgenauen Forecast zu erstellen:
Bei dieser Methode berechnest Du wie oben beschrieben zunächst den jährlichen Wachstumsfaktor. Anschließend addierst Du 1 und multiplizierst diesen Wert mit dem Anrufvolumen von jedem Tag des Vorjahres. Du erhältst damit einen tagesgenauen Forecast.
Anschließend solltest Du aber unbedingt noch die Feiertage anpassen. Einige Feiertage fallen immer auf dasselbe Datum (Weihnachten), andere immer auf einen bestimmten Wochentag, sodass sich das Datum jedes Jahr ändert. Du solltest Dir ansehen, wie sich das Anrufvolumen in der Woche vor, während und nach dem Feiertag verändert. Meistens beeinflussen Feiertage nämlich nicht nur das Anrufvolumen am Tag selbst, sondern auch den umliegenden Zeitraum.
Wenn Du zum ersten Mal den Einfluss eines Feiertages auf die umliegenden Tage berechnest, solltest Du sowohl die Woche selbst als auch die vorangehende und folgende Woche betrachten. Nach Deiner Analyse kannst Du besser beurteilen, wie viele Tage tatsächlich vom Feiertag beeinflusst werden. Notiere Dir diese Informationen, damit Du das nächste Mal genau weißt, wieviel zusätzliches Anrufvolumen Du erwarten musst.
Bei dieser Methode berechnest Du zunächst das durchschnittliche Anrufvolumen für jeden Monat. Anschließend berechnest Du das durchschnittliche Anrufvolumen für jeden Tag des Jahres. Die täglichen Durchschnittswerte vergleichst Du anschließend mit dem jeweiligen Monatsdurchschnitt, um die prozentuale Verteilung des monatlichen Anrufvolumens auf die einzelnen Tage zu ermitteln. Du weißt nun z.B., dass 2 % des monatlichen Anrufvolumens im Januar auf den 1. Januar fallen.
Nun benötigst Du die Werte aus dem monatlichen Forecast, den wir oben bereits berechnet haben. Der monatliche Forecast wird nun mit dem jeweiligen Tagesprozentwert multipliziert, um eine tagesgenaue Prognose des Anrufvolumens zu erhalten.
Ein Beispiel: Wenn auf den 1. Januar 2 % Deines Januar-Volumens entfallen und die Monatsprognose für Januar 10.000 Anrufe beträgt, dann werden am 1. Januar vermutlich 200 Anrufe eingehen.
Natürlich solltest Du – genau wie bei der ersten Methode – den Einfluss von Feiertagen berücksichtigen. Dieser wichtige Schritt wird häufig übersehen, wenn Du keine Checkliste hast, die alle Feiertage enthält, die das Anrufvolumen beeinflussen
Wenn Dein Contact Center auch Anrufe aus dem Ausland erhält, solltest Du zudem bedenken, dass es dort andere Feiertage geben kann. Diese solltest Du ebenfalls in die Berechnungen einbeziehen.
Hinweis: Wir haben hier nur den Forecast des Anrufvolumens beschrieben. Der Forecast der Bearbeitungszeit funktioniert wie im Abschnitt zum Monats-Forecast dargestellt. Sobald Du den Forecast für das Anrufvolumen und für die Bearbeitungszeit berechnet hast, musst Du die beiden Werte nur noch für jeden Tag bzw. jede Woche multiplizieren und Du erhältst den Tages- bzw. Wochenforecast für das gesamte Arbeitsaufkommen.
Wie oben bereits angedeutet, reicht es bei einem Forecast nicht aus, sich lediglich auf historische Daten zu stützen. Du musst bei jedem Forecast zusätzlich alle Einflussfaktoren berücksichtigen, die sich in Zukunft auf das Anrufvolumen oder die Bearbeitungszeit auswirken können. Anders ausgedrückt: Du brauchst eine Übersicht über alle Einflussfaktoren, die bewirken können, dass die Zukunft von der Vergangenheit abweicht.
Ein Beispiel für einen solchen Einflussfaktor ist ein geänderter Rechnungsprozess, wie oben beschrieben. Weitere Beispiele sind Marketingkampagnen, die Einführung neuer Produkte, Änderungen der Servicerichtlinien oder ein neuer Online-Self-Service.
Es gibt viele Dinge, die sich in Zukunft ändern können - und Du solltest sie alle auf dem Schirm haben. Zumindest dann, wenn sie sich auf das Arbeitsaufkommen auswirken können.
Erfahrungsgemäß bietet es sich an, mit den Abteilungen, die Einfluss auf das Anrufvolumen haben, regelmäßige Meetings zu vereinbaren – ein strategisches Meeting jeden Monat sowie ein taktisches Meeting jede Woche.
In den monatlichen Meetings solltest Du Dich mit Abteilungen wie Marketing, Vertrieb, Buchhaltung oder mit dem Management-Team zusammensetzen.
Sprich alle Vorgänge an, die in der Vergangenheit das Anrufvolumen beeinflusst haben. Frag Deine Kollegen, ob sie in Zukunft ähnliche Vorgänge erwarten – und ob sie mit neuen Entwicklungen rechnen, die das Anrufvolumen beeinflussen könnten.
Du solltest eine Liste mit potenziellen Einflussfaktoren vorbereiten und zum Meeting mitbringen, um nichts zu vergessen.
In den wöchentlichen Taktik-Meetings prüfst Du dagegen, ob die Einflussfaktoren, die Du zuvor im Monatsmeeting besprochen hast, tatsächlich die Wirkung entfaltet haben, die Du erwartet hast – und inwiefern die Auswirkungen anders ausgefallen sind.
Außerdem solltest Du im Wochenmeeting über alles sprechen, was das Anrufvolumen kurzfristig innerhalb der nächsten Tage beeinflussen wird. Ein typisches Beispiel hierfür ist das Rückruf-Volumen.
Angenommen, Du hast in den letzten Wochen Dein Servicelevel über weite Strecken verfehlt. Wenn Deine Abbruchquote hoch war, werden viele Leute in den kommenden Tagen erneut anrufen. Das wird Dein Anrufvolumen künstlich in die Höhe treiben. Diese zusätzlichen Anrufe müssen im Forecast berücksichtigt werden.
Ein weiterer Grund, diesen Effekt zu berücksichtigen, ist die Prognose für das nächste Jahr. Denn Du solltest in der Lage sein, das zusätzliche Rückruf-Volumen aus den Daten herauszurechnen, damit Dein Contact Center im nächsten Jahr um die gleiche Zeit nicht überbesetzt ist.
Du bist nun in der Lage, einen Forecast des Arbeitsaufkommens bis auf den Tag genau zu berechnen. Als nächstes folgt der Forecast des Personalbedarfs und des verfügbaren Personals im Contact Center.
Wie Du dabei genau vorgehst, erfährst Du im nächsten Blogpost dieser Reihe.