Personaleinsatzplanung

Fairness ≠ Gleichheit: Was Fairness wirklich bedeutet

Stefan Nievelstein 6 min Lesezeit PDF-Download
Fairness ≠ Gleichheit: Was Fairness wirklich bedeutet

Fairness in Contact Centern ist ein Thema, das immer mehr Aufmerksamkeit bekommt. Aus unserer Sicht aber noch lange nicht genug. In den aktuellen Zeiten eines Arbeitnehmermarktes wird es immer wichtiger, Personal zu halten. Gefühlt unfaire Behandlung führt aber zu Unzufriedenheit und langfristig nicht selten zur Kündigung. Lass uns darum tiefer in das Thema einsteigen und sehen, was Fairness bedeutet und vor allem, was keine wirkliche Fairness ist.

Warum Fairness für Contact Center immer wichtiger wird

Spätestens seitdem “The Great Resignation" Deutschland erreicht hat, ist jedem klar, dass wir uns derzeit in einem Arbeitnehmermarkt befinden. Arbeitnehmermarkt bedeutet, dass das Angebot an Arbeit die Nachfrageseite übersteigt. Zum ersten Mal seit langer Zeit müssen sich Arbeitgeber um Arbeitnehmer bewerben, nicht andersherum. Damit stehen Arbeitgeberofferten in direkter Konkurrenz zu vielen anderen Arbeitsangeboten.

Wie auf jedem anderen Markt wird versucht, das Angebot besonders attraktiv für die Nachfrageseite zu gestalten. Bei Arbeit funktioniert das vor allem über Gehalt, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen und Sonderzulagen. Das heißt, mehr Gehalt, flexible Arbeitszeiten bis hin zur 4-Tage Woche und Sonderzulagen wie betriebliche Altersvorsorge, Fahrtkostenübernahme, kostenloses Mittagessen etc. Das aber stellt Contact Center, deren Geschäftsmodelle auf Effizienzsteigerung basieren, vor große Herausforderungen.

Ausblick Arbeitsmarkt: Keine Besserung in Sicht

Auch langfristig ist keine Besserung in Sicht. Durch den demographischen Wandel scheiden jedes Jahr mehr Beschäftigte aus dem Arbeitsmarkt aus als junge Arbeitnehmer eintreten.

Diese Grafik der Bundesagentur für Arbeit zeigt, dass die Babyboomer-Jahrgänge 2018 in das Rentenalter hineingewachsen sind. Die Zahlen aus dem Jahr 2022 zeigen, dass sich das Bild noch verschärft hat. Somit sehen wir zwar gerade den Höhepunkt der Arbeitsmarktaustritte, allerdings verdeutlicht die Grafik auch, dass deutlich zu wenige junge Menschen in den Arbeitsmarkt hineinwachsen, um zukünftige Austritte zu kompensieren.

Für Arbeitgeber bedeutet das, dass der “Kampf um Talente” auch in den nächsten Jahren fortgesetzt, wenn nicht sogar intensiviert wird.

Mitarbeiterbindung wird Priorität Nummer 1

Nicht erst seit heute steht bei vielen Contact Centern das Thema Mitarbeiterbindung ganz oben auf der Agenda. Jeder Mitarbeitende, der neu eingestellt werden muss, verursacht Kosten beim Recruiting, Onboarding und Training und schadet somit der Wirtschaftlichkeit.

Allerdings haben sich diese Herausforderungen mit dem Arbeitnehmermarkt nochmals gesteigert. Und der Ausblick zeigt, dass es auch in Zukunft nicht besser sondern eher schlimmer wird. Das bedeutet, dass jede Kündigung langfristige Folgen haben wird.

Wenn es um die attraktive Gestaltung des Arbeitsangebots geht, haben Contact Center klare Nachteile. Viel Spielraum für Gehaltsanpassungen gibt es in den knappen Budgets nicht. Und in Sachen Arbeitszeit sind oft Kompromisse zwischen Mitarbeiterwünschen und Kundenbedarf zu treffen. Dadurch können Dienstpläne auch unpopuläre Schichten enthalten, die besetzt werden müssen. Wenn Mitarbeitende deswegen die Dienstpläne als unfair wahrnehmen, haben Contact Center schlechte Karten für die Zukunft.

Deswegen erhält das Thema Fairness immer mehr Aufmerksamkeit. Doch was bedeutet Fairness mit Blick auf die Einsatzplanung überhaupt?

Was bedeutet Fairness für Dich als Contact Center Verantwortlicher?

Beim Thema Fairness in der Dienstplanung geht es vor allem darum, unbeliebte Schichten zu besetzen, ohne direkt eine Meuterei auszulösen. Für den Planer ist es nicht nur eine zusätzliche Belastung, wenn sich Mitarbeitende über ihre Dienstpläne beschweren. Jede geforderte Änderung droht den durchdachten Dienstplan komplett durcheinander zu werfen.

Darüber hinaus haben demotivierte Teammitglieder auch einen indirekten Einfluss auf das Geschäftsergebnis. Unzufriedenheit wird sich in längerer AHT (Average handling time = Durchschnittliche Bearbeitungszeit) niederschlagen und schlussendlich auch das Service Level gefährden oder sogar zu einer höheren Fluktuation führen.

Wenn wir von ungeliebten Schichten sprechen, meinen wir damit vor allem Schichten an Feiertagen und Wochenenden. Aber auch die Spätschicht ist nicht gerade beliebt. Andere Schichten hingegen werden gerne übernommen, wie beispielsweise die Frühschicht. Das stellt das Contact Center vor Herausforderungen. Wie kann sichergestellt werden, dass alle Schichten besetzt sind, ohne dass sich Teammitglieder unfair behandelt fühlen?

Am häufigsten greifen Planer zu einer gleichmäßigen Verteilung dieser unpopulären Schichten. Sie versuchen so, Benachteiligungen zu verhindern.

Mögliche “faire” Schichtverteilungssysteme

WFM-Softwareanbieter unterstützen Planer mit “fairen” Schichtverteilungssystemen. Wie sehen diese aus? Was sind die Vor- und Nachteile?

Das Rotationsprinzip

Üblicherweise wird beim Rotationsprinzip das vorwärts rollierende Schichtsystem angewendet. Das heißt, alle Teammitglieder, deren Verträge es erlauben, werden abwechselnd in Früh-, Spät- und Nachtschicht eingesetzt. So fängt bspw. Mitarbeiter A mit der Frühschicht an, Mitarbeiterin B mit der Spätschicht und Mitarbeiterin C bekommt die Nachtschicht. Im nächsten Zyklus läuft das System mit dem Tagesrhythmus weiter, also Mitarbeiter A übernimmt die Spätschicht, Mitarbeiterin B die Nachtschicht und Mitarbeiterin C die Frühschicht. Im nächsten Zyklus wird dann nochmals weiter rolliert.

Vor- und Nachteile des Rotationsprinzips

Dieses System stellt sicher, dass jeder mal jede Art von Schicht übernehmen muss. Darüber hinaus ist es sowohl für Planer als auch für Mitarbeitende gut planbar, es gibt keine Überraschungen.

Erweitertes Rotationsprinzip

Bei dem erweiterten Rotationsprinzip wird das einfache Rotationsprinzip durch ein Regelwerk erweitert. Manche WFM-Software Anbieter geben feste Regeln vor. So können beispielsweise durch eine Art Punktesystem unbeliebte Schichten attraktiver gestaltet werden. Aber die Anforderungen und Bedingungen können ganz unterschiedlich formuliert sein. Gegebenenfalls können sogar Präferenzen der Beschäftigten berücksichtigt werden.

Generell soll das erweiterte Rotationsprinzip betriebliche Anforderungen und individuelle Bedürfnisse der Teammitglieder so gut wie möglich miteinander verbinden.

Vor- und Nachteile des erweiterten Rotationsprinzips

Die Einbeziehung persönlicher Präferenzen ermöglicht dem Planer mehr Flexibilität. Und die Mitarbeitenden erhalten gewisse Mitsprachemöglichkeiten. Das Regelwerk stellt über das Rotationsprinzip hinaus sicher, dass Schichten gleichmäßig verteilt werden.

Auf der anderen Seite können möglicherweise nicht alle individuellen Vorlieben erfüllt werden. In solchen Fällen müssen Kompromisse gefunden werden, um ein ausgewogenes Ergebnis zu erzielen.

Zufällige Schichtzuweisung

Die zufällige Zuweisung ist eine andere Möglichkeit, die Schichtverteilung gleich und vorurteilsfrei zu gestalten und so eine faire Verteilung der Arbeitsbelastung zu gewährleisten. Typischerweise sind dafür folgende vier Schritte notwendig:

  • Erstellung einer Schichtliste
  • Identifizieren berechtigter Mitarbeitender
  • Zufallsauswahl, für gewöhnlich durch eine Software
  • Dienstplanerstellung

Vor- und Nachteile der zufälligen Zuweisung

Für Mitarbeitende ist zwar nachvollziehbar, warum sie welche Schicht bekommen haben, aber da der nächste Zyklus wieder per Zufallsprinzip zugewiesen wird, können sie schlecht planen.

Es gibt sicherlich noch viele andere Schichtverteilungssysteme, die eine gleichmäßige Verteilung der Schichten ermöglichen. Allen liegt die Annahme zugrunde, dass Gleichheit Fairness entspricht. Ist das wirklich so?

Gleichheit ≠ Gerechtigkeit

Wir haben bei den Schichtverteilungssystemen gesehen, dass versucht wird, eine gleiche Verteilung herzustellen. Aber entspricht eine gleiche Verteilung auch einer fairen? Wir versuchen die Frage anhand eines Beispiels zu beantworten.

Angenommen in Deinem Contact Center wird ausschließlich das Rotationsprinzip verwendet. Das heißt, jeder Mitarbeitende muss mal Früh-, Spät- und Nachtschicht machen. Alle Mitarbeitenden haben also die gleiche Anzahl der verschiedenen Schichttypen. Das klingt fair, oder?!

Wenn wir uns nun aber die Mitarbeitenden genauer ansehen, sehen wir, dass manche aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund von persönlichen Verpflichtungen deutlich schwieriger Nachtschichten übernehmen können. Eine alleinerziehende Mutter mit einem Kleinkind kann nicht genauso einfach die Spät- und Nachtschicht übernehmen wie ein junger Single ohne Kinder.

Fairness bedeutet nicht, dass jeder Beschäftigte die gleichen Bedingungen erhält. Stattdessen geht es darum, gerechte und angemessene Bedingungen zu schaffen, die die individuellen Unterschiede respektieren und auf faire Weise berücksichtigen.

Individuelle Wahrnehmung von Fairness

Selbst wenn tatsächlich auf individuelle Bedingungen Rücksicht genommen wird, kann das immer noch dazu führen, dass sich manche Mitarbeitende ungerecht behandelt fühlen.

Jeder Beschäftigte hat eigene Vorstellungen und Erwartungen, die auf persönlichen Erfahrungen, Werten und Bedürfnissen beruhen.

Konkret bei der Einsatzplanung kann die individuelle Wahrnehmung durch folgende Faktoren beeinflusst werden:

  • Individuelle Präferenzen und Bedürfnisse der Mitarbeitenden
  • Wertschätzung und Anerkennung für ihre Leistungen
  • Transparenz und offene Kommunikation über Entscheidungen und Prozesse
  • Berücksichtigung individueller Umstände und Anliegen

Indem Workforce Manager zum Einen das Missverständnis zwischen Gleichheit und Fairness überwinden und zum Anderen dem individuellen Ungerechtigkeitsempfinden durch Transparenz entgegenwirken, können sie eine gerechte Arbeitsumgebung schaffen.

Fazit

Leider wird allzu häufig Fairness mit gleicher Behandlung verwechselt. Sicherlich ist letzteres eine wichtige Voraussetzung für Fairness, aber eben nicht der entscheidende Punkt. Die subjektive Wahrnehmung von Planungsentscheidungen bestimmt darüber, ob ein Dienstplan als fair bewertet wird. Eine faire Personaleinsatzplanung muss dementsprechend auf objektiv gerechten Prozessen beruhen, klar und menschlich kommuniziert werden und Fähigkeiten, Präferenzen und individuelle Umstände des Einzelnen berücksichtigen. Nur so ist die Mitarbeiterbindung gewährleistet. 

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