Eine meiner ersten Stellen im Workforce Management (WFM) Bereich war in einem Business-to-Business (B2B) Call Center. Unser Fokus: Wir lieferten den Kundenservice für diverse Versicherungsträger. Die Vereinbarungen mit den Versicherungen umfassten Leistungsgarantien, nach denen wir bestimmte Service Level und ein definiertes Maß an Servicequalität und Kundenzufriedenheit erreichen mussten. Mit dieser externen Rechenschaftspflicht stieg die Komplexität des WFM-Prozesses im Call Center exponentiell.
Um dies besser zu verstehen, ist es wichtig zu sehen, inwiefern sich das WFM in einem Business-to-Consumer (B2C) Call Center von dem in einer Business-to-Business-Umgebung (B2B) unterscheidet.
In einem B2C Unternehmen kann beispielsweise reines Workforce Management angewendet werden. Auf Basis der bestmöglichen Daten errechnet die Forecasting-Abteilung das erwartete Arbeitspensum und die Produktivitätsanforderungen. Diese Informationen werden verwendet, um den Bedarf an Vollzeitmitarbeitern zu bestimmen und Einsatzpläne zu entwickeln. Auch die Planungs- und Tagessteuerungs-Teams arbeiten mit internen WFM-Prozessen und -Technologien und nach intern entwickelten Anforderungen.
In einem B2B-Unternehmen hast Du neben den genannten Bedingungen zusätzlich noch die Bedingungen Deiner Geschäftspartner, die es zu beachten gilt. Diese reichen von Leistungsgarantien über Anforderungen an Technologie und Prozesse bis hin zur Integration in ihren allgemeinen Kundenservice.
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Zunächst wären da die Leistungsgarantien. Der Begriff „Leistungsgarantie“ wird in Verträgen verwendet, um bestimmte Level der Leistung sicherzustellen. Leistungsmaß, Erwartungen und Messtechniken werden bei Vertragsunterzeichnung vereinbart. Eine für das Workforce Management besonders wichtige Leistungsgarantie ist das Erreichen bestimmter Service Levels. Diese werden normalerweise entweder monatlich oder vierteljährlich, können aber auch auf Intervallbasis gemessen werden (z.B. als Prozentsatz der Intervalle, in denen das Service Level erreicht wurde).
Als WFM-Profi musst Du die Sprache der Leistungsgarantie für Dein Service Level genau verstehen. Meiner Erfahrung nach sind diese oft schlecht und mehrdeutig formuliert. Denke daran, dass die Leistungsgarantien üblicherweise vom Customer Management und dem Einkauf geschrieben werden, die sich mit der Materie nicht so gut auskennen wie Du.
Ich erinnere mich an eine Servicegarantie, die folgendermaßen lautete: “Es werden durchschnittlich 80% der Anrufe in 20 Sekunden angenommen”. Hier werden also die durchschnittliche Beantwortungszeit und das Service Level miteinander vermischt. Technisch betrachtet könntest Du die besten 80% der Anrufe mitteln, und wenn Du bei höchstens 20 Sekunden Antwortzeit liegst, erfüllst Du die Vertragsbedingungen. Aber das wäre nicht im Sinne des Vertrags, der ein Service Level von 80/20 meint. Die besten Unternehmen lassen diese Leistungsgarantien immer durch das Workforce Management prüfen, bevor sie unterschrieben und umgesetzt werden.
Du musst auch die Definition des Maßes verstehen (Beziehen sich die vorgegebenen 80% auf alle eingehenden Anrufe, oder nur die abgebrochenen Anrufe?). Zudem musst Du wissen, welche Technologie verwendet wird, um diese KPIs (Key Performance Indicators) zu messen. Wichtig zu hinterfragen:
Zusätzlich musst Du wissen, ob es andere implizierte Erwartungen gibt. Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Monatsziel von 80%, wobei dieser Wert aber – und das wäre die zusätzliche Erwartung – in keiner einzigen Woche signifikant unterlaufen werden darf. Die Erwartung könnte aber auch lauten, dass Du die 80% am Monatsende nicht signifikant überschreiten sollst, um den Durchschnitt anzuheben und so den Zielwert zu erreichen. Das passiert oft, wenn der bisherige Service Level bei 78% liegt und der Monat noch drei Tage hat. In einer solchen Situation kannst Du die Mitarbeiterressourcen erhöhen, um für den Rest des Monats 90% zu erreichen – und am Ende melden zu können, das gewünschte Service Level eingehalten zu haben. Dasselbe kommt natürlich in B2C Call Centern vor, was hier allerdings kein so großes Problem darstellt, weil Du keine Geschäftsvereinbarungen mit Deiner internen Geschäftsleitung hast.
Die anderen Überlegungen betreffen die Technologien und Prozesse, die Du verwenden sollst. In den meisten B2B-Vereinbarungen nutzen Unternehmen ihre eigenen Technologien und Prozesse und liefern die Ergebnisse an ihre Geschäftspartner. Wenn Du jedoch beispielsweise ein Outsourcer bist, musst Du Dich in die Prozesse Deiner Geschäftspartner integrieren. Manche Kunden werden fordern, dass Du ihr WFM-System verwendest, weil Du womöglich nur einer von mehreren Anbietern bist, die denselben Service liefern, und der Kunde den Gesamtüberblick über die Personalbesetzung behalten möchte. Andere Kunden werden verlangen, dass Du Dich in ihre Forecasting-Prozesse einklinkest, weil Du nur auf diese Art Einblick in Daten erhalten kannst, die für die Prognose des Arbeitsvolumens entscheidend sind.
Wenn Du in einer B2B-Umgebung arbeitest, übertragst Du im Grunde die Kunst des WFM auf die Geschäftsanforderungen. Du hast neue Einflussfaktoren, die außerhalb Deiner Kontrolle oder Deines Einflussbereichs liegen. Du hast damit einen weiteren Stakeholder, der Interesse an dem Ergebnis Deiner Arbeit hat und daran, wie Du Deine Ziele erreichst. Diese Themen kommen zu Deinen vorhandenen internen Anforderungen hinzu.
Die beste Strategie ist es, Fragen zu stellen. Frage Deinen Teamleiter genau, was konkret im Vertrag steht. Wenn Du selbst der Teamleiter bist, wende Dich an das Kundenmanagement-Team. Frage auch, welche Erwartungen, die im Vertrag nicht ausformuliert sind, womöglich mitgemeint sein könnten – mache nicht den Fehler, irgendetwas anzunehmen. Das gilt auch, wenn Du feststellst, dass die Dinge anders laufen, als im Vertrag festgelegt. Denn sobald Dein Geschäftspartner dies bemerkt, kann er Maßnahmen ergreifen.
Am besten veranlasst Du, dass das WFM-Team mit am Tisch sitzt, wenn die Vereinbarungen getroffen werden. Das ist zwar nicht einfach, aber Dein Einsatz wird sich lohnen. Sieh es als einen weiteren Schritt bei Deinem Bemühen, dem Workforce Management innerhalb Deines Unternehmens einen höheren Stellenwert zu verschaffen.